Medikamentenknappheit in Deutschland: Gründe und Lösungen

Medikamentenknappheit in Deutschland: Gründe und Lösungen
Sergio Delle Vedove | Adobe Stock
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Antibiotika gegen Grippe oder Fiebersäfte für Kinder? Fehlanzeige. Der Gang zur Apotheke führt bei vielen Patienten derzeit zu Ratlosigkeit und Unmut. Denn wo Engpässe früher ein Fremdwort waren, herrschen heute oftmals leere Regale und ungewisse Lieferzeiten. Ob akut oder chronisch erkrankt: Viele Patienten sind zu Recht verunsichert, ob ihr dringend benötigtes Medikament erhältlich ist und wie es mit der Arzneimittelknappheit weitergeht. Welche Wirkstoffe sind betroffen? Was sind die Gründe für die Lieferengpässe bei Medizinprodukten? Und wann reagiert die Politik? Gesundheitswissen gibt Ihnen einen Überblick über die aktuelle Lage. 

Welche Medikamente sind aktuell schwer oder gar nicht zu bekommen?

Laut der Liste für Lieferengpässe des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) sind aktuell über 430 Medikamente nicht oder nur begrenzt in deutschen Apotheken und Krankenhäusern erhältlich. Die Daten dafür stammen von pharmazeutischen Herstellern sowie einer zentralen Datenbank des Bundes. Neben Nischenprodukten betrifft der Mangel auch zahlreiche versorgungsrelevante Arzneimittel. Dazu zählen unter anderem folgende Medikamente:

  • Schmerzmittel, wie Paracetamol oder Ibuprofen
  • Antidepressiva
  • Immunglobuline, also Antikörperkonzentrate
  • Schilddrüsenmedikamente
  • Fiebersäfte für Kinder
  • Antibiotika
  • Diabetes-Medikamente
  • Kochsalzlösungen
  • Blutdruckmittel
  • Krebsmedikamente
  • Narkosemittel
  • Impfstoffe

Die Auflistung zeigt: Die Bandbreite der Medikamentenknappheit in Deutschland ist enorm und betrifft eine Vielzahl von Patienten, darunter chronisch erkrankte Menschen sowie Kinder. Experten vermuten, dass die Zahl fehlender oder knapper Arzneimittel noch deutlich höher ist, als angenommen. Denn das BfArm sammelt nur Daten über rezeptpflichtige Medikamente. Zudem ist die Meldung über Lieferengpässe für pharmazeutische Unternehmen freiwillig.

Was kann man bei fehlenden Medikamenten tun?

Ist ein vom Arzt verschriebenes Medikament in der gewohnten Apotheke nicht erhältlich oder über einen längeren Zeitraum nicht lieferbar, können Patienten in vielen Fällen auf alternative Möglichkeiten zurückgreifen:

  • informieren Sie sich bei anderen Apotheken in Ihrer Region oder Online-Apotheken – gegebenenfalls sind dort noch Präparate des gesuchten Arzneimittels vorrätig
  • weichen Sie aus auf andere Darreichungsformen, z. B. Tabletten, Dragees, Tropfen, etc.
  • ziehen Sie – zumindest vorübergehend – mögliche Ersatzpräparate in Erwägung
  • unter Umständen ist ein Wechsel auf ein anderes, lieferbares Medikament möglich

Vor einem Umstieg auf Ersatzpräparate oder eine komplett neue Wirkstoffgruppe sollten Patienten in jedem Fall ein klärendes Gespräch mit ihrem Arzt suchen. Denn Ersatzmedikamente wirken nicht immer genau so, wie das für die Behandlung ursprünglich vorgesehene Arzneimittel. So ist z. B. der Wechsel auf ein alternatives Medikament gegen Bluthochdruck nicht von einem auf den anderen Tag möglich: Die Einstellung erfordert Zeit, um unerwünschte Nebenwirkungen wie Herzrasen oder Schwindel zu vermeiden.

Sollten Sie von einer Medikamentenknappheit betroffen sein, kann es sich lohnen, bei einer Online-Apotheke nach dem gesuchten Präparat zu schauen.Kaspars Grinvalds | Adobe Stock

Betrifft die Medikamentenknappheit alle Regionen in Deutschland?

Die Lieferengpässe bei Arzneimitteln machen allen Menschen in Deutschland zu schaffen. Unterschiede bei der Versorgungslage in den einzelnen Bundesländern gibt es derzeit nicht. Jedoch ist die Situation auf dem Land oftmals noch deutlich angespannter als in den Städten. 

Der Grund: In den ländlichen Regionen gibt es oftmals weniger Apotheken als in den Ballungsgebieten. Somit haben Patienten auf der Suche nach einem bestimmten Medikament nicht immer die Möglichkeit, auf andere Apotheken auszuweichen.

Gut zu wissen: Gibt es auch in den anderen Ländern der EU Versorgungsengpässe?

Die Medikamentenknappheit ist nicht nur in Deutschland ein Problem: Alle Länder der EU haben mit Lieferengpässen von Arzneimitteln zu kämpfen, darunter Frankreich, Finnland und die Niederlande. Auch in den anderen EU-Staaten betrifft die Knappheit vor allem Präparate wie Schmerzmittel und Antibiotika. Griechenland untersagte aufgrund der schwierigen Versorgungslage sogar die Ausfuhr von bestimmten Medikamenten in andere Länder.

Was sind die Gründe für die Lieferengpässe bei Medikamenten?

Experten nennen vor allem zwei Gründe für die derzeitige Medikamentenknappheit in Deutschland: die Vergabepraxis sowie Rabattverträge. So gelten hierzulande auf verschreibungspflichtige Arzneimittel sogenannte Festpreise. Diese zahlen die Krankenkassen. Um innerhalb dieser festgesetzten Beiträge zu bleiben, greifen Pharmaunternehmen auf kostengünstige Wirkstoffe und Medikamente aus Niedriglohnländern zurück. Die dortigen Lieferkettenprobleme führen bei uns nun zu Versorgungengpässen mit Medizinprodukten.

Aus Sicht des Deutschen Apothekerverbands stellen auch Rabattverträge ein Problem dar: Viele Krankenkassen vereinbaren Preisnachlässe mit pharmazeutischen Unternehmen und senken damit ihre Kosten. Für die Erstattung von Medikamenten dieser Hersteller erhalten die Versicherungen im Gegenzug einen Rabatt. Die Folge: Hersteller gleichwertiger Medizinprodukte schränken ihr Angebot aufgrund geringerer Nachfrage ein. Während einer großen Krankheitswelle wie aktuell im Winter 2022/23 verschärft diese Praxis die Medikamentenknappheit in Deutschland zusätzlich.

Was kann man gegen die Medikamentenknappheit in Deutschland tun?

Die unzureichende Versorgung mit Medikamenten ist in der Politik in Deutschland schon länger ein Thema. Experten unterschiedlicher Bereiche diskutieren dazu verschiedene Maßnahmen, um Lieferengpässe bei medizinischen Präparten zu vermeiden.

So fordern Apotheker und Ärzte von der Bundesregierung strengere Auflagen für pharmazeutische Hersteller. Unter anderem sollen diese Unternehmen versorgungsrelevante Medikamente in Zukunft verpflichtend auf Vorrat bereithalten. Um der Knappheit von Medikamenten zu bekämpfen und der Abhängigkeit von Lieferketten anderer Länder entgegenzuwirken, gibt es zudem Pläne, die Produktion wichtiger Arzneimittel wieder nach Deutschland zu holen.

Wie geht es aktuell weiter mit den Medikamenten-Engpässen in Apotheken und Krankenhäusern?

Die Krankenkassen reagierten nun auf die aktuell unzureichende Versorgungslage und beschlossen eine Aussetzung der Festbeträge für rund 180 Medikamente, darunter Arzneimittel wie Antibiotika, Ibuprofensäfte für Kinder und Paracetamol. Diese Regelung gilt seit dem 1. Februar 2023 zunächst für drei Monate, wie der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) mitteilte. Der Verzicht auf Festpreise – vor allem bei Kindermedikamenten – war auch Wunsch des Gesundheitsministers Karl Lauterbach. 

Pharmazeutische Unternehmen können nun höhere Preise für die Lieferung nach Deutschland abrechnen – und gewinnen so Zeit, um Liefer- und Produktionsprobleme in den Griff zu bekommen. Dies ist jedoch nur als Übergangslösung anzusehen. Mittelfristig, so sind sich viele Mediziner und Politiker einig, sei die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten nur strukturell vernünftig zu regeln. Bis mit einer Gesetzesänderung zu rechnen ist, bleibt die Situation in Deutschland angespannt – für Ärzte, Apotheker und vor allem für die Patienten.