Binge Eating: Wenn Essen zur Sucht wird

Binge Eating: Wenn Essen zur Sucht wird
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Jeder hat schon mal zu viel gegessen, am Buffet den Teller zu voll gemacht oder etwas zu gierig nach der Schokolade gegriffen. Mit Binge Eating oder einer Esssucht hat das aber noch lange nichts zu tun. Dabei geht es um ein zwanghaftes Verhalten und eine psychische Störung, die für die Betroffenen sehr belastend ist.

Essen ohne Hunger zu haben, unkontrollierte Mengen an Chips, Schokolade und Pizza zu sich zu nehmen und sich nach dem Essen schlecht fühlen – in Kombination können all diese Verhaltensweisen Symptome der Binge-Eating-Störung bzw. Disorder sein. Binge Eating (engl. “binge”, auf Deutsch: Gelage) bedeutet das unkontrollierte Verschlingen großer Nahrungsmenge und ist nicht bloß eine schlechte Verhaltensweise. Die Binge-Eating-Störung ist eine ernst zu nehmende Erkrankung und bedeutet für die Betroffenen sowohl psychisch als auch körperlich eine große Beeinträchtigung.

Typische Verhaltensweisen: Was kennzeichnet Binge Eating?

Binge Eating ist dadurch charakterisiert, dass die Betroffenen in regelmäßigen Abständen an Essattacken und Heißhungerattacken leiden. Diese Essattacken sind durch ein typisches Verhalten gekennzeichnet:

  • Die Betroffenen essen während ihrer Attacken außergewöhnlich große Mengen.
  • Sie haben das Gefühl, was und wie viel sie essen während dieser Heißhungerattacken nicht kontrollieren zu können. Häufig können sie sich nicht erinnern, wann sie mit Essen angefangen und aufgehört haben.
  • Sie essen ohne Hunger zu verspüren.
  • Sie essen schneller als für sie üblich.
  • Sie hören erst auf zu essen, wenn sie ein unangenehmes Völlegefühl überkommt.
  • Die Essanfälle treten nicht in Gesellschaft auf, vor anderen Personen werden sie verheimlicht, es entstehen Schuldgefühle.

Wer dieses Verhalten von sich kennt, der leidet möglicherweise unter einer Binge-Eating-Störung. Bei anderen Menschen kann Binge Eating schwer zu erkennen sein, da die Essattacken heimlich erfolgen. Falls eine Person im eigenen Umfeld immer mehr zunimmt, traurig wirkt und unregelmäßig isst, können dies Indizien für eine Binge-Eating-Störung sein.

Der Unterschied zwischen Binge Eating und Bulimie

Nach einer Essattacke ekeln sich die Betroffenen oft vor sich selbst, schämen sich, fühlen sich deprimiert oder schuldig. Die Besonderheit des Binge Eating im Vergleich zur Bulimie ist, dass die Betroffenen keine Gegenmaßnahmen zu ihren Essattacken ergreifen. Das heißt sie führen kein Erbrechen herbei, missbrauchen keine Abführmittel oder widmen sich exzessivem Sport.

Viele Personen mit Binge-Eating-Störung haben Übergewicht, jedoch nicht allen sieht man die regelmäßigen Essattacken und Heißhungerattacken an. Es gibt auch Normalgewichtige, die unter Binge Eating leiden. Viele Patienten halten zwischen Essanfällen Diät oder essen sehr unregelmäßig.

Auch bei den Binge Eatern kreisen die Gedanken viel um das Thema Figur und Gewicht, jedoch meist nicht so extrem wie bei Bulimikern und Magersüchtigen.

Wann wird aus zu viel essen einen Binge-Eating-Störung?

Von einer Binge-Eating-Störung ist dann die Rede, wenn die Essanfälle mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten auftreten. Bei vielen Betroffenen schwankt die Häufigkeit der Essanfälle auch stark, je nach Lebensphase. Manche haben monatelang keine Essanfälle und dann wieder geballt und mehrmals pro Woche, wenn zum Beispiel Stress aufkommt.

Wenn die Essanfälle mit mindestens drei der typischen Verhaltensweisen auftreten (schlingen, essen ohne Hunger, Selbstekel etc.), kann von Binge Eating die Rede sein. Üblich ist auch ein enormer Leidensdruck, der für die Betroffenen aus den Essanfällen resultiert.

So oft kommt die Binge-Eating-Störung vor

Die Häufigkeit der Krankheit liegt im Schnitt bei etwa 1 bis 4 Prozent der Bevölkerung. Die Störung tritt später auf als Bulimie oder Magersucht, sie betrifft vorwiegend junge Erwachsene oder tritt in der Lebensmitte erstmalig auf. Auch bei Kindern kann die Störung auftreten, dies ist jedoch selten und meist weniger stark ausgeprägt.

Hinsichtlich der Verteilung der Krankheit unter den Geschlechtern fällt das Bild nicht so eindeutig aus wie bei Magersucht und Bulimie, wo vorwiegend Mädchen und Frauen betroffen sind. Bei der Esssucht kommen auf drei erkrankte Frauen zwei Männer. Die Krankheit ist noch lange nicht so gut erforscht wie Bulimie und Magersucht, obwohl Experten davon ausgehen, dass sie weitaus verbreiteter ist als diese beiden Essstörungen.

Auch zur Adipositas muss Binge Eating abgegrenzt werden. Schließlich leiden nicht alle übergewichtigen Menschen unter der Esssucht mit unkontrollierten Essanfällen.

Das sind mögliche Ursachen für Binge Eating

Die genauen Ursachen für Binge Eating sind noch nicht wissenschaftlich geklärt. Es gibt jedoch viele Vermutungen und Zusammenhänge, die für die Entstehung der Krankheit sprechen können:

  • Depressionen: Rund die Hälfte der Betroffenen leidet unter Depressionen, wobei nicht klar ist, ob die Depressionen aus der Esssucht resultieren oder andersherum.
  • Biologische beziehungsweise körperliche Faktoren: Ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) oder häufige Diäten mit daraus resultierendem Heißhunger können zum Binge Eating führen.
  • Individuelle und persönliche Einflüsse: Ein mangelndes Selbstwertgefühl, Selbstzweifel sowie die Unzufriedenheit mit der eigenen Person beziehungsweise dem eigenen Körper können die Krankheit auslösen. Emotionale Probleme können Essanfälle auslösen, dazu zählen Langeweile, Wut, Stress, Trauer, Unzufriedenheit oder Angst.
  • Familiäre Faktoren: Wenig Halt in der Familie oder problematische Vorbilder beim Thema Essverhalten bedingen die Krankheit unter Umständen ebenfalls.

Weitere Besonderheiten der Essstörung

Die Essattacke verschafft den Betroffenen häufig eine kurze Erleichterung. Der Stress und die sonst so quälenden Gedanken werden für kurze Zeit weniger und die Betroffenen sind in einer Art Tunnel, in dem sie alles andere ausblenden. Mit dem Genuss von Nahrungsmitteln haben die Essattacken dennoch nichts zu tun. Die Betroffenen schämen sich und fühlen sich eklig. Dies führt häufig auch dazu, dass sie sich sozial immer mehr zurückziehen und zunehmend einsamer werden.

Ihr Hunger- und Sättigungsgefühl ist gestört und die Betroffenen haben möglicherweise nie gelernt oder zumindest verlernt auf ihren Körper zu hören. Dies kann dann geschehen, wenn Eltern ihren Kindern kein Sättigungs- oder Hungergefühl zugestehen und das Essen nicht auf die Bedürfnisse des Kindes ausgerichtet ist.

  • Wie lange ein Essanfall dauert und wie viel während dieser Zeit gegessen wird, ist unterschiedlich.
  • Die Betroffenen leiden häufig unter einer Körperschemastörung. Der Blick in den Spiegel ist für sie quälend.
  • Viele haben bereits in der Kindheit oder frühen Jugend unter Übergewicht gelitten.
  • Einige Esssüchtige haben Mobbing oder andere Kränkungen von außen erlebt.
  • Einige Betroffene leiden auch noch zusätzlich zur Esssucht an anderen Abhängigkeiten wie zum Beispiel von Medikamenten, Alkohol oder Drogen.
  • Auch Persönlichkeitsstörungen kommen vor.
  • Stressfaktoren von außen verstärken das Auftreten von Essattacken.

Diese körperlichen Folgen kann Binge Eating haben

Neben den psychischen Folgen, die für die Betroffenen sehr belastend sind, ist es vor allem die Fettleibigkeit, die für den Körper gefährlich ist. Die Folgen eines zu hohen Körpergewichts können gravierend sein:

  • Bluthochdruck
  • erhöhte Blutfettwerte
  • Arterienverkalkung mit erhöhtem Schlaganfall und Herzinfarktrisiko
  • Herzschwäche
  • Wassereinlagerungen
  • Gelenkschäden, insbesondere an den Knie- und Hüftgelenken
  • Beschwerden an der Wirbelsäule und den Bandscheiben
  • Kurzatmigkeit
  • Schlafstörungen
  • Diabetes mellitus

Die Binge-Eating-Störung erkennen

Durch gezielte Fragen können Hausärzte die Binge-Eating-Störung erkennen und dann dementsprechend an Therapeuten und Beratungseinrichtungen verweisen. Eine körperliche Untersuchung ist ein Teil der Diagnosefindung und je nach Gesundheitszustand kann sogar eine stationäre Behandlung nötig sein.

Viele Kliniken arbeiten mit dem “Eating Disorder Examination”-Test, entwickelt von den Forschern Fairburn und Cooper, die auf das Gebiet der Essstörungen spezialisiert sind. Der Test ist primär ein Fragebogen und gilt als zuverlässig bei der Erkennung von Essstörungen. Auch die Binge-Eating-Störung kann mit ihm identifiziert werden. Die Fragen behandeln:

  • das Essverhalten einer Person
  • ihre gedankliche Beschäftigung rund um das Thema Essen
  • Sorgen um Körpergewicht und Figur

Auch bei der Diagnostik von Magersucht oder Bulimie kann dieser Test eingesetzt werden.

Binge Eating behandeln: Diese Möglichkeiten gibt es

Um eine Binge-Eating-Störung zu behandeln, bedarf es einer Therapie. Diese folgt einigen Ansätzen und Regeln:

  1. Der Betroffene soll über das Krankheitsbild aufgeklärt und informiert werden.
  2. Eine Ernährungsberatung ist Bestandteil einer Therapie. Der Betroffene soll lernen, seine Essgewohnheiten zu verändern.
  3. Körperliche Bewegung ist ein Schlüssel zu mehr psychischem Wohlbefinden und zu einer Reduktion des Übergewichts.
  4. Über die Gesprächstherapie soll das negative Denken in Bezug auf den eigenen Körper verändert werden. Dadurch soll das Selbstwertgefühl der Person gesteigert und das Gefühl für den Körper werden.
  5. Um Rückfälle nach der Therapie zu vermeiden, werden der Person Strategien mitgegeben, wie sie künftig mit Stress oder anderen Emotionen umgehen kann.

Entscheidend für den Therapieerfolg ist nicht nur die Qualität des Therapeuten, sondern auch die Bereitschaft des Patienten, sich behandeln zu lassen.

Zusammenfassung

Eine Binge-Eating-Störung ist von Essattacken gekennzeichnet. Nahrungsmittel in großer Menge und ohne Kontrolle (bzw. nach Kontrollverlust) in sich “hineinzustopfen” ist für die Betroffenen eine belastende Sucht. Sie leiden häufig unter Störungen ihres Selbstbildes, haben Depressionen oder versuchen negative Gefühle durch das Essen zu betäuben. Dabei kommt es häufig zu Übergewicht, das zu fatalen körperlichen Schäden führen kann.

Da die Essattacken heimlich erfolgen, ist es schwer die Binge-Eating-Störung bei anderen Personen zu identifizieren. Charakteristisch sind Essanfälle, die mindestens einmal pro Woche und über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten erfolgen und mit negativen Gefühlen wie Kontrollverlust, Scham, Schuldgefühle und Essen gegen das Sättigungsgefühl einhergehen.

Die Ursachen für Binge Eating können vielschichtig sein und in einem komplexen Zusammenspiel aus persönlichen Faktoren, biologischer Prädisposition und familiären Einflüssen sein. Eine Behandlung der Krankheit umfasst nicht nur eine Psychotherapie, sondern auch das Heranführen an andere Essgewohnheiten sowie Bewegung im Alltag.

Entscheidend ist die Abgrenzung der Binge-Eating-Störung von anderen Krankheiten wie zum Beispiel Bulimie und Adipositas. Binge Eating ist bisher noch nicht so weit erforscht wie Magersucht oder Bulimie und insbesondere beim Thema Ursachen gibt es noch deutliches Forschungspotenzial. Dennoch können Betroffene mit den richtigen Maßnahmen schon gut behandelt werden. Entscheidend ist eine andauernde ambulante Behandlung auch über Klinikaufenthalte oder akute Behandlungszeiträume hinaus und die Vermittlung von Strategien, wie künftige Essanfälle vermieden werden können.